Wissenschaftlichkeit hat im heutigen Leben eine wichtige Bedeutung. Im gesundheitlichen Bereich beispielsweise wird der Wert einer Therapie oder eines Medikaments mit wissenschaftlich anerkannten Doppelblindstudien gemessen. Wissenschaft lässt sich auf einfache Weise definieren als eine Tätigkeit, bei der ein Sachverhalt mit objektiven und nachvollziehbaren Methoden systematisch beschrieben und untersucht wird.
Im Bereich des Yoga gibt es viele Bemühungen, die Wirkungen der Yogapraxis wissenschaftlich zu belegen. Zahlreiche Studien liegen hierzu vor. Vorwiegend handelt es sich in Bezug auf die Gesundheit um objektiv messbare Werte, z.B. wie sich Bluthochdruck nach einer bestimmten Anzahl an Yogastunden positiv verändert oder wie ein Diabetes bessere Werte entwickelt. Hier bewegt man sich auf der Ebene des Körpers. Es können auf dieser physischen Ebene beispielsweise Wirkungen auf das Herz-Kreislaufleben wie Puls, Blutdruck, etc., auf die Atmung wie Atemfrequenz, Atemvolumen, etc., auf den Stoffwechsel wie Veränderung der Blutzuckerwerte, Gewichtsveränderungen etc. untersucht werden.
Der Mensch als „Messinstrument“
Heute werden vielfach nur technische Messgeräte als wissenschaftliche Instrumente anerkannt. Jedoch besitzt der Mensch eine feine Wahrnehmungsfähigkeit. Eskimos können zum Beispiel rund 40 Arten von Schnee unterscheiden. Ein ungeübter Mensch aus Deutschland nimmt diese Unterschiede nicht wahr, das heißt nun aber nicht, dass sie nicht objektiv vorhanden sind, sondern nur, dass dieser seine Wahrnehmungsfähigkeit nicht so weit entwickelt hat.
Im Yoga werden neben dem Körper bzw. der Materie auch die beiden Ebenen von Seele und Geist mit einbezogen. Auf diesen Ebenen scheint es nun schon bedeutend schwieriger, zu im wissenschaftlichen Sinne objektiven und nachvollziehbaren Ergebnissen zu kommen. Häufig hört man in Bezug auf dieses Gebiet Aussagen wie „Spiritualität kann man nur erfahren, nicht erklären.“ oder „Jeder hat seine Wahrheit.“
Ein Blinder sieht keine Farbe, weil seine physischen Augen nicht funktionieren. In Bezug auf seelische und geistige Zusammenhänge ist es genau so: man kann einen seelisch-geistigen Zusammenhang nicht wahrnehmen, wenn man das „seelische“ Sinnesorgan dafür nicht entwickelt hat. Entwickelt man es, so kommt man zum gleichen Ergebnis, wie ein anderer, der es ebenfalls entwickelt hat. Das Ergebnis ist also wiederholbar und damit objektiv nachprüfbar. So beschreibt dies der Geistforscher Rudolf Steiner.
Rudolf Steiner, Heinz Grill, Sri Aurobindo u.a. haben bestimmte seelisch-geistige Zusammenhänge in Erkenntnis gebracht und beschrieben. Diese Erkenntnisse sind durch jeden Einzelnen überprüfbar:
- indirekt durch deren praktische Anwendung: die aufbauenden Ergebnisse daraus sind unmittelbar erlebbar
- auf direkte Weise: wenn man selbst das Bewusstsein bzw. seine Seelenkräfte (Denken, Fühlen, Wollen) dementsprechend schult, bis man selbst die Erkenntnisse in Erfahrung bringen kann[1]
Um zu objektiven Aussagen über seelische und geistige Wirkungen der Yogapraxis zu gelangen, sind klare Kriterien notwendig. Zunächst stellt sich einmal die Frage: Geist – Was ist das? Beim Tier würde man nicht von Geist sprechen. Was wäre der Geist in einer Maßeinheit des Irdischen? Der Geist steht in einem Zusammenhang mit der Freiheit des Menschen. Reist jemand beispielsweise nach China und spricht selbst nicht chinesisch, so ist er insofern unfrei, da er einen Dolmetscher benötigt. Er hat jedoch auch die Möglichkeit, Chinesisch zu lernen. Der Geist entspricht also den Fähigkeiten des Menschen. Er ermöglicht eine Entwicklung. Dies ist im Tierreich nicht möglich: der Mensch kann das Pferd erziehen, aber das Pferd kann nicht sich selbst erziehen.
Wichtig ist hierbei, Entwicklung ausreichend im Sinne einer Fortentwicklung zu definieren. In dem Film „Tarzan“ beispielsweise wird die Rückkehr zum Tierreich propagiert, das wäre nicht angemessen für den Menschen. Der Mensch soll sich heraus entwickeln aus dem instinkthaften Bewusstsein zu einem wirklichen Bewusstsein. Ohne Bildung würde dem Menschen tatsächlich etwas fehlen! Der Mensch ist angewiesen auf das Lernen.
Der Prozess des Lernens benötigt immer den Bezug zur Außenwelt. Indem sich der Mensch auseinandersetzt mit den Phänomenen der Welt, lernt er diese kennen und entwickelt damit auch neue Fähigkeiten. In diesem Sinne ist der im Yoga weit verbreitete Ausspruch: „Wende dich ganz nach innen. In dir ist schon alles da.“ kontraproduktiv. Wäre ein Kind zum Beispiel alleine auf einer Insel, würde es niemals sprechen lernen. Es benötigt die Anregung von außen, um das Sprechen zu erlernen. Es mag vielleicht ein besonderes Talent haben für Sprachen, aber ohne Anregung durch die Mitmenschen könnte dieses nicht zur Geltung kommen.
Der Mensch entwickelt Fähigkeiten aus dem heraus, wie er mit anderen Menschen, mit Büchern, mit Kunst und verschiedensten anderen Bereichen des Lebens in Bezug steht. Der Geist des Menschen bemisst sich daran, dass der Mensch nicht der bleibt, der er ist, sondern indem Fähigkeiten zur Entwicklung kommen. Dies kann als wissenschaftliches Kriterium für den Geist zugrunde gelegt werden.
Oft sagt man: „Das hat meinem Geist geholfen.“ oder „Der Yogakurs hat meinem Geist gut getan, weil es mir gefallen hat.“ Das ist sehr unkonkret und sagt nicht viel aus. Man müsste nach konkreten Fähigkeiten fragen, die sich entwickelt haben, zum Beispiel: Kann der Kursteilnehmer zielgerichteter mit der Bewegung umgehen? Ist der Kursteilnehmer beziehungsfreudiger / -fähiger geworden?
Es ist möglich, festzustellen, ob die Fähigkeit, in Beziehung zu treten, größer geworden ist. Für jemand Ungeübten sind die Unterschiede vielleicht nicht sogleich feststellbar, prägt man jedoch sein Empfindungsleben weiter aus, so wird man Unterschiede diesbezüglich leicht erkennen. Es ist wie bei einem Arzt: nach jahrelangen Erfahrungen im Pulsmessen wird er sehr genau unterscheiden können, ob der Puls des Patienten weich oder hart, klar oder schlüpfrig, usw. ist, was ihm zu Beginn seines beruflichen Weges noch nicht möglich war. Er hat dazu seine Wahrnehmungsfähigkeit über die Berufsjahre gesteigert.
Entstehen jedoch Verhältnisse, dass jemand zum Beispiel lernt, seinen Partner in der Beziehung abhängig zu machen, so wäre dies nicht der Entwicklung entsprechend. Mit der Entwicklung kommt das reife Wesen des Menschen zunehmend zum Tragen, nicht nur, dass er besser durch das Leben kommt.
Vom Geist gelangt man fast automatisch zur Seele. Das Seelenleben korrespondiert mit dem Bewusstsein des Menschen und lässt sich aufgliedern in die drei Bewusstseins- oder Seelenkräfte Denken, Fühlen und Wollen. Auch hier gibt es konkrete Kriterien. Für die Untersuchung dieser seelischen Ebene lassen sich beispielsweise folgende Fragen stellen: Ist das Denken klarer, objektiver, differenzierter geworden? Ist das Fühlen reichhaltiger an Empfindungen geworden (nicht dumpfer)? Und ist der Wille stärker, zielgerichteter und freier von äußeren oder körperlichen Bedingungen einsetzbar geworden?
So lassen sich für die drei Ebenen von Geist, Seele und Körper jeweils konkrete, nachvollziehbare Kriterien benennen, welche die Wirkungen der Yogapraxis beschreibbar und damit wissenschaftlich belegbar machen.
[1] Das Ergebnis einer mikroskopischen Untersuchung ist für den Einzelnen auch nur nachprüfbar, wenn er selbst ein Mikroskop besitzt und das Experiment damit selbst wiederholen kann, ansonsten ist er ebenfalls darauf angewiesen zu glauben, was der Forscher berichtet.